„Durch diese Exhumierung schlossen wir ein Kapitel der Geschichte ab“


Die deutsche Minderheit kümmert sich seit Jahren um verschiedene Grabstätten deutscher Soldaten in der Region. Łukasz Giertler, Historiker aus Bielitz-Biala sammelte diese Orte in einem Verzeichnis, führte Nachforschungen durch und gab Hinweise, dank derer die sterblichen Überreste von etwa 70 Soldaten auf dem Gelände des evangelischen Friedhofs in Bielitz-Biala in der Listopadowa-Straße exhumiert werden konnten. Die Arbeiten wurden Mitte Mai abgeschlossen. Mit Łukasz Giertler sprach Katarzyna Gierszewska:

Mit welchem Ergebnis endeten die Arbeiten auf dem Friedhof in der Listopadowa-Straße?

Tatsächlich gab es dort zwei Gräber, die physisch existierten, während der Rest – also fast 70 Personen – ohne Grab begraben wurde. Dank der Tatsache, dass es möglich war, ungefähr zu bestimmen, wo sie liegen und dann anhand von Untersuchungen die genauen Orte zu bestimmen, war es möglich, diese Überreste zu exhumieren und auf den deutschen Soldatenfriedhof nach Siemianowitz (Siemianowice Śląskie) zu bringen, wo sie schon würdig begraben liegen – angegeben mit Vor- und Nachnamen, damit die Familien erfahren, was mit ihren Vorfahren passiert ist.

Wissen Sie, wer diese Soldaten waren? Kann man das genau bestimmen?

Ja, dank der Dokumente aus dem Bundesarchiv, Abt. Militärarchiv in Freiburg/Breisgau. Der Volksbund hat eine genaue Soldatenliste zusammengestellt, die etwa 18 Millionen Namen von Menschen, die mit der Wehrmacht verbunden waren, umfasst. Als wir exhumierten, fanden wir Erkennungsmarken aus Zink oder Aluminium, die uns nach der Reinigung die Daten des Soldaten zeigten. Als wir die Daten von den Erkennungsmarken mit den Listen, die wir vom Volksbund bekommen hatten, verglichen, konnten wir herausfinden, zu wem die Überreste gehören. Hier geht es nicht nur um die Nummer oder die Einheit, in der der Soldat gedient hat, sondern auch um die Tatsache, dass die Dokumentation so genau war, dass die Todesumstände des Soldaten angegeben waren. Die Verletzungen wurden dort auch beschrieben. Durch die Analyse der Überreste konnten wir feststellen, dass es sich tatsächlich um diese und nicht um eine andere Person handelt. Wenn zum Beispiel die Amputation der linken Hand dokumentiert war, konnten wir anhand des Beispiels, dass die linke Hand fehlte, feststellen, ob es genau diese Person war.

Ist während dieser Arbeit etwas passiert, das Sie überrascht hat?

Es überraschte uns, wie viele Gefallene aus weit entfernten Ortschaften nach Bielitz transportiert worden waren. Denn wie sich herausstellte, gab es bei einigen Soldaten, die wir exhumierten, tschechische Münzen. Es gab auch Fälle, bei denen ein Soldat zum Beispiel in Lemberg starb – und wir fragten uns, warum er so weit transportiert worden war. Hier hat uns die Geschichte sehr geholfen, denn es stellte sich heraus, dass der Friedhof der deutschen Soldaten in Bielitz vor allem für die Gebirgseinheiten angelegt war. Meistens kamen die Leichen der Männer, die in diesen Einheiten dienten, hierher. Warum den ganzen Weg von Lemberg? Wahrscheinlich, weil die Deutschen Bielitz als die erste deutsche Stadt westlich von den östlichen Gegenden, westlich von Ostpolen, angesehen haben. Für mich war es ein Glücksfall, denn es wurde auch viel über die lokale Geschichte aufgeklärt. Die meisten Soldaten, die hier begraben wurden, waren aber Ortsfremde. Die beiden Gräber, die sich auf dem evangelischen Friedhof befanden, besaßen Namen, die absolut nicht zur der Bielitzer Sprachinsel passten. Ich war aber zu 99 Prozent sicher, dass wir weitere Soldaten finden würden. Das geschah auch, es gab tatsächlich eine Menge Soldaten aus verschiedenen Einheiten. Interessant war, dass wir sogar einen Soldaten der Luftwaffe gefunden haben, der in Posen (Poznań) diente.

Wie sieht die Exhumierung aus? Sie graben die Überreste aus – und was dann?

Zu Beginn müssen wir Daten sammeln, die uns aufzeigen, wo sich die Überreste befinden könnten. Am einfachsten geht das aus der mündlichen Berichterstattung von Zeitzeugen hervor. In Batzdorf (Komorowice Śląskie) hatten wir solch eine Situation, dass eine sehr alte Dame den Begräbnisort der Soldaten aufgezeigt hat, auf der Basis dessen, was ihr ihre Mutter erzählt hatte. Es stellte sich heraus, dass ihr Urgroßvater das Grundstück für den Friedhof der Gemeinde geschenkt hatte. Die Familie hat sich aber weiter um den Friedhof gekümmert. Also erinnerte sie sich genau, wo die Überreste waren. Als nächstes sehen wir uns die Dokumentation an. In der Dokumentation haben wir Daten, die uns manchmal genau, manchmal mehr oder weniger sagen, wo ein Soldat ruhen könnte. Dann können wir das Suchgebiet eingrenzen. Dann werden Sondierungen durchgeführt, entweder durch Bohrungen oder durch eine erste Bodenanalyse. Erst wenn wir sicher sind, dass wir etwas finden, graben wir in die richtige Tiefe. Zuerst mit einem Bagger, dann – wegen der Achtung vor den Toten, der Überreste und der Vorsicht bei solchen Arbeiten – wird die Reinigung von Hand weiter durchgeführt, mit Schaufeln und Spezialgeräten. Anschließend werden diese Soldaten genau beschrieben. Die Überreste kommen in den Sarkophag, das Alter des Soldaten wird anhand des Gebisses, eventuell anhand der Knochenverwachsungen überprüft. Wachstum basiert auf der Länge des Oberschenkelknochens. Schließlich kommen die sterblichen Überreste in einen speziellen Sack, der genau beschrieben und nach Siemianowitz gebracht wird. Dort werden sie mit Soldatenehren begraben. Damit ist der ganze Prozess abgeschlossen.

Haben Sie außer den Überresten auch Gegenstände gefunden?

Ja, das passiert. Das war nicht selten auch ein Problem, denn oft waren es Gegenstände, die Glück bringen sollten, Talismane, religiöse Medaillen oder Kreuze. Dies war insofern problematisch, als dass die Soldaten sie nicht selten mit den Erkennungsmarken trugen, sodass nach all den Jahren, wie sie zusammen im Boden lagen, es zu einer chemischen Reaktion kam, die leider die Erkennungsmarken beschädigten. Dies erschwerte die Identifizierung. Wir fanden auch Taschenmesser, manchmal Bajonette. Wenn die Fundstücke musealen Wert hatten, kamen sie natürlich dorthin; an dieser Stelle sprechen wir vom Museum des Zweiten Weltkrieges in Tichau (Tychy). Wenn es persönliche Dinge waren, dann gibt es zwei Wege: Die Familien bekommen die Gegenstände oder sie kommen zusammen mit dem Soldaten ins Grab.

Ich habe mehrmals solche Meinungen gehört, wie: „Wozu soll man die Überreste der Toten ausgraben, wenn sie auf einem Friedhof ruhen?“ Was denken Sie darüber?

Solche Meinungen tauchen ziemlich oft auf. Es handelt sich jedoch meistens um Massengräber, die wahrscheinlich die ersten Gräber sein werden, die beseitigt werden müssen, wenn der Platz auf dem Friedhof knapp wird. Der Vorteil einer Exhumierung ist folgender: Diese Soldaten kommen auf den Friedhof nach Siemianowitz, wo sie namentlich auf der Steinplatte erwähnt werden. Die Bundesrepublik Deutschland zahlt für den Erhalt dieses Friedhofs, sodass diese Personen für alle Zeiten ihre Ruhe haben werden. Wenn sie auf kommunalen Friedhöfen ruhen, gibt es keine solche Möglichkeit. Es ist sehr wahrscheinlich, dass diese Menschen mit der Zeit völlig vergessen und aus der Geschichte gelöscht werden. Das wäre nicht ganz fair gegenüber diesen Menschen. Es waren junge Leute, die noch keine Familien gegründet hatten. Jungs, die 17, 20, 25 Jahre alt waren. An diesem Punkt ist es für sie also ein würdiges Gedenken, denn immerhin sprechen wir hier nicht von Individuen, die negativ in die Geschichte eingegangen sind, sondern wir sprechen über das Schicksal eines einfachen Soldaten. Die einfachsten Jungs, die zur Wehrmacht kamen und gezwungen waren, Befehle zu befolgen, zu kämpfen.

Wie kam es dazu, dass Sie sich mit diesem Thema beschäftigen?

Da ich Historiker bin, kannte ich das Thema ziemlich gut. Ich bin auch seit langer Zeit mit der deutschen Minderheit verbunden und Vorsitzender des Kreises in Bielitz-Biala. Beim Durchstöbern des Archivs stieß ich auf zahlreiche Notizen, Dokumente und Fotos von Senioren – einige sind leider schon verstorben –, die sich mit den Gräbern in Bielitz beschäftigten. Ich habe auch für meinen Beruf recherchiert und es stellte sich heraus, dass viele dieser Fotos, viele dieser Dokumente sehr hilfreich waren. Und es hat sich inzwischen ergeben, dass sich in der Nähe von Bielitz die Firma Methodis mit der Räumung des Geländes des ehemaligen deutschen Soldatenfriedhofs beschäftigte. Dies geschah auf Wunsch des neuen Pächters. Er wollte einfach, dass dieses Gebiet sauber ist, denn er hatte eine Idee für eine Investition, aber er fand es unwürdig, einen Spielpark an einem Ort zu bauen, wo menschliche Überreste liegen. Ich beschloss, mit dem Exhumator zu sprechen, der sich diesen Arbeiten gewidmet hat. Maciej Milak interessierte sich für das Thema und so begann unsere Zusammenarbeit.

Was gibt Ihnen diese Arbeit?

Sie gibt mir Erfüllung. Vor allem, weil ich bei meinen geschichtlichen Untersuchungen manchmal auf diese Thematik des Jahres 1945 gestoßen bin. In Bezug auf Bielitz-Biala und die Umgebung wird dieses Thema ziemlich verschwiegen. Ich habe es geschafft, Zeitzeugenberichte zu bekommen, die bisher niemand veröffentlicht hat, niemand übersetzt hat, es war ein zusätzliches Puzzleteil, aber es war immer noch nicht vollständig. In Anbetracht des Ortes, an dem ich aufgewachsen bin, hatte ich immer eine Linie von deutschen Befestigungen vor der Nase, manchmal ging man dorthin, es gab sichtbare Überreste, diese Bunker oder auch Spuren von Schützengräben. Es gab diese Geschichte aus den Büchern, aber es war alles so unvollendet, ich würde sagen, furchtbar offiziell, ohne greifbaren Punkt. Es stellte sich immer wieder die Frage: Was passierte mit den Bielitzer Soldaten und mit den Soldaten im Allgemeinen, die irgendwo gefallen sind und irgendwo begraben wurden? Die Berichte von Menschen, die damals noch Kinder waren, sprechen von einem Fuhrwerk voller Körper. Diese Leichen wurden weggebracht. Niemand wusste genau, wohin. Als sich die Gelegenheit bot, dies herauszufinden und gleichzeitig das Ergebnis meiner Forschungen zu bestätigen und nebenbei etwas Gutes für uns, für die deutsche Minderheit zu tun, dachte ich sofort daran, dies zu nutzen. Jetzt sah man die Auswirkungen dieses Krieges, denn anhand dieser Skelette konnte man ihre Verletzungen erkennen und sich vorstellen, wie alles aussah – und gleichzeitig etwas zu Ende bringen. Durch diese Exhumierungen konnte man ein Kapitel schließen und den Verstorbenen eine würdige Ruhe sichern. Dieses Unternehmen brachte mir eine gewisse Ruhe, mit meinen Forschung zufrieden zu sein, eine Phase abzuschließen – und es gab mir das Gefühl, dass ich meine Arbeit, meine Forschungen erfolgreich beenden kann. Das ist nicht nur etwas, das ich auf Papier geschrieben habe, sondern es ist ein dauerhafter, physischer Effekt, der mich zweifellos sehr freut, weil er gezeigt hat, dass diese Forschung einfach notwendig war.

Vielen Dank für das Gespräch.