
Gedenken und Verbreiten
Die ersten Monate des Jahres 1945 gehören zu einem der tragischsten Geschichtsabschnitte Oberschlesiens. Die durch ganz Schlesien strömende Rote Armee hat Tausende von Opfern hinterlassen. In Januar wurde in vielen Ortschaften in Oberschlesien den Opfern der Oberschlesischen Tragödie gedacht.
Der Einmarsch der Roten Armee war mit verbrecherischen Taten an Zivillisten verbunden – mit Massenmorden, Vergewaltigungen, Raub und Zerstörungen. Zum Opfer fiel die autochthone Bevölkerung, die in Zwangsarbeitslager verwiesen wurde. Tausende von Oberschlesiern kamen 1945-1947 ums Leben im Rosengarten in Myslowitz (Mysłowice). So unschuldig der Name klingen mag, so unmenschlich waren die dortigen Bedingungen: Menschen wurde gefoltert und gemordet.
An seiner Stelle steht heute ein Denkmal zum Gedenken der Opfer des Arbeitslagers. Am 27. Januar 2018 fanden an dem Denkmal Gedenkfeierlichkeiten statt, die vom Verein Ślonsko Ferajna organisiert wurden. Um 9:30 Uhr versammelten sich dort einige Einwohner und zahlreiche Gäste, unter denen auch die Vertreter der Deutschen Minderheit waren. Am Mittag des gleichen Tages wurde auch den Opfern des Lagers Zgoda in Schwientochlowitz (Świętochłowice) gedacht. Die Gedenkfeier fand an dem Denkmal-Tor statt, das von dem Nebenlager Eintrachthütte des Konzentrationslagers Auschwitz übrigblieb. Dieses Lager wurde im Jahr 1945 für Tausende von Oberschlesiern der Vorhof zur Hölle – der Ort des Leides und des Todes.
An die Opfer des Lagers Zgoda erinnerte dort zu Mittag die Stiftung Fundacja Silesia in Zusammenarbeit mit dem DFK-Kreisverband Kattowitz. Die Vertreter der Deutschen Minderheit gedachten an dem Tag auch den Opfern, die in der Messehalle in Schwientochlowitz gefangen waren und infolge der Repressionen ums Leben gekommen sind. Das Denkmal für die Opfer, die in der Messehalle in Schwientochlowitz ums Leben gekommen sind, befindet sich in der Nähe der ehemaligen Messehalle. Vertreter der Deutschen Minderheit haben dort Blumen niederlegt und eine Kerze angezündet.
Erhaltung der Erinnerung
Die schrecklichen Geschehnisse, die in Januar 1945 in Oberschlesien ihren Anfang hatten, die von den Historikern als die Oberschlesische Tragödie bezeichnet werden, waren bis 1989 ein verbotenes Thema. „Nach vielen Schweigejahren wird erst jetzt mühselig die traurige Wahrheit, die jahrelang eliminiert wurde, enthüllt“, sagte während der Gedenkfeierlichkeiten am Lagertor Zgoda Eugeniusz Nagel, der Vorstandsvorsitzende des DFK-Kreisverbandes Kattowitz: „Tost, Lamsdorf, Rosengarten, Zgoda – das sind nur einige der Orte der Tragödie. Mitglieder unserer Gesellschaft kämpfen seit vielen Jahren um die Erhaltung der Erinnerung an die Orte der Tragödie. Wir sind es den Opfern der Oberschlesischen Tragödie 1945 schuldig.“ Der Kreisvorsitzende hat auch darauf hingewiesen, dass nicht nur der Januar 1945 tragisch war und dass es Opfer der Repressionen auch außerhalb Oberschlesiens gibt.
Dieses unterstrich in seiner Rede bei der Gedenkfeier in Myslowitz auch der Vorsitzende des Verbandes deutscher Gesellschaften in Polen und Sprecher der Arbeitsgemeinschaft deutscher Minderheiten in Europa Bernard Gaida: „Als ich letztes Jahr in Berlin die Ausstellung über die 25 deutschen Minderheiten in Europa eröffnet habe, musste ich feststellen, dass das Schicksal der deutschen Zivilgesellschaft in Mitteleuropa identisch war. Vertreibungen, Lager, die als Arbeitslager bezeichnet werden, Deportationen, Vergewaltigungen, Leid und Tod gab es auch in Rumänien, in Ungarn, in der Tschechoslowakei und in ganz Ostdeutschland – in Schlesien, Pommern, Ost- und Westpreußen, Danzig oder Posen.“
Gaida hat aufgerufen, bei den Gedenkfeierlichkeiten in Oberschlesien auch an die Opfer von außerhalb Schlesiens zu erinnern und denen zu gedenken, die zwar das Kriegsende erlebt haben, aber den Frieden nicht miterleben konnten.
Kampf um Bewusstsein
Gedenktafeln oder Denkmäler, die die Opfer von Repressionen würdigen, gibt es mittlerweile in vielen Ortschaften. Das ist jedoch immer noch zu wenig. Das jahrelange Verschweigen der Geschichte und die immer noch anwesende Furcht fordern ihren Tribut. An vielen Orten, wo es solche Tafeln geben müsste, gibt es diese noch nicht. Entweder weil sich niemand darum kümmert, oder weil die Menschen sich weigern laut von diesen schrecklichen Geschehnissen zu sprechen.
Wiederum an Orten, wo es Tafeln oder Denkmäler schon gibt, gibt es oft kurze und allgemein gefasste Informationen. Das alles führt dazu, dass die Aufgabe, das Wissen über die Oberschlesische Tragödie zu verbreiten, schwierig ist. Außer den Gedenkfeierlichkeiten an Denkmälern, gibt es immer mehr Initiativen, damit das Wissen über die Oberschlesische Tragödie Einzug in das gesellschaftliche Bewusstsein findet. Bei den Gedenkfeierlichkeiten in Schwientochlowitz wird neben dem Teil mit Kranzniederlegung am Lagertor-Denkmal auch immer ein Vortrag organisiert. „Jedes Jahr wollen wir etwas über die Oberschlesische Tragödie sagen. Jedes Jahr was anderes. Diesmal wollen wir über den Ursprung der Tragödie sprechen. Wir wollen bis in die Zeit des Plebiszits zurückgehen, als das Entzweien der Gesellschaft anfangen konnte – die Aufteilung in bessere und schlechtere Schlesier“, erklärt Jerzy Bogacki von der Stiftung Fundacja Silesia.
1920-21 in Zusammenhang mit 1945
Bei den Vorträgen wird Fundacja Silesia immer von dem Historiker Roman Herrmann unterstützt. Auch diesmal hat er den Vortrag über die Genese der Oberschlesischen Tragödie vorbereitet und gehalten. Den Zuhörern hat er Einzelheiten zum Thema des Plebiszits und seiner Durchführung vorgestellt, wie auch auf seine Ergebnisse aufmerksam gemacht. „Die Forschungen der Historiker haben schon die Geschehnisse vom Winter und Frühling 1945 in Oberschlesien faktographisch geordnet. Dann wurden Bücher veröffentlicht und Filme gedreht. Nun ist die Zeit gekommen, wo ein generelles Überdenken notwendig ist“, sagte Roman Herrmann nach dem Vortrag und erklärte: „Das Konfrontieren der Umstände und Ergebnisse des Plebiszits mit den jeweiligen Regionen, die von der Oberschlesischen Tragödie betroffen waren, ergab ein interessantes überschneiden auf der Landkarte Oberschlesiens.“ Herrmann hat zum Schluss darauf hingewiesen, dass es lohnenswert wäre nach Geschichten von Menschen zu suchen, die in Oberschlesien sowohl zu Zeiten des Plebiszits waren als auch während der schrecklichen Geschehnisse des Jahres 1945.
Am 17. Februar gab es auch Gedenkfeierlichkeiten der Oberschleischen Tragödie in Gleiwitz-Laband. Am Denkmal-Lagertor Zgoda in Schwientochlowitz wird an die Opfer noch am 16. Juni geben. Traditionell wird dann der Deutsche Freundschaftskreises im Bezirk Schlesien, Kreisverband Kattowitz, die Gedenkfeier veranstalten.
ap